Aus der Geschichte von Munster
von Lehrer Kohlmeyer – Munster
1926
Munster – wer kannte vor ungefähr 40 Jahren Munster? Verträumt und verschlafen lag der Ort in der Heidmark, in der Südwestede des Bardengaues. Wenn die Heide ihr Hochzeitskleid trug, kamen wohl hin und wieder ein paar städtisch aussehende Wanderer, bewunderten die alte Kirche und marschierten dann das liebliche Oertzetal hinunter. Und heute? Was ist aus Munster seit der Gründung des Truppenübungsplatzes geworden! Tausend und abertausend Soldaten kamen und gingen Jahr für Jahr. Die Einwohnerzahl Munsters hat sich in den letzten 4 Jahrzehnten vervierfacht, und der Ort trägt mehr städtisches als dörfliches Gepräge.
Munster – woher mag der Name kommen? Der Name wird langobardischer Herkunft sein; Langobarden waren wahrscheinlich auch die ersten Siedler Munsters. Man vermutet in „Mun“ den alten Personennamen Muno, Muni oder Munichis. Munlo (Wald des Muni) soll der älteste Name für Munster gewesen sein. Später wurde das angelsächsische tere, dere mit „mun“ verbunden und aus Munstere, Monstere, wurde Munster. Angelsächsischer Herkunft ist auch „Oertze“ (Ursina, Ursena, Orsne gleich die Starkströmende; englisch horse, gleich Pferd, das Eilende, Schnelle).
Nach Hammerstein („Der Bardengau“) könnte „der Name Munster überhaupt auf eine späte Entstehung des Ortes aus einem dort fundierten monasterio (Kloster) schließen lassen,“ wenn eben nicht eine Notiz in einem Register des Klosters Ebstorf bestätigte, daß Munster einst Munclo hieß. Ob in Munster ein Kloster bestanden hat, läßt sich kaum nachweisen. Nach der Hermannsburger Chronik soll mit der hier schon früh gegründeten Kirche ein Benediktinerkloster verbunden gewesen sein. Ob Louis Harms recht hat, wenn er meint, daß Landolf in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts Kirche (Kapelle) und Kloster gegründet bezw. den Bau beider veranlaßt habe, ist möglich, aber nicht erwiesen. In seinem „Bardengau“ vertritt Hammerstein die Ansicht, daß 1380 „die Pfarre Munster, über deren Stiftung wir keine Nachricht besitzen, noch gar nicht existierte“. Es ist bedauerlich, daß wir den Schleier der Vergangenheit nicht zu lüften vermögen. Ohne Frage hat der Brand des Pfarrhauses im Jahre 1858 wertvolle Akten, die uns Aukunft hätten geben können, vernichtet.
Sudendorf teilt in seinem Urkundenbuch VI. Nr. 49 mit, daß der Name Munster in einem Verzeichnis des Celler Schlosses aus den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts genannt wird. Daß die Munsterer Kirche in dieser Zeit aber doch zu Anfang des 15. Jahrhunderts bestanden hat, ist wohl als sicher anzunehmen; denn der aus Bronze gegossene Taufstein trägt die Jahreszahl 1432. Die einst beim Archibiafonat Holdenstedt unterstellte Kirche hatte Umfassungsmauern aus Granit, die am Turm und an der Oertzeseite zum Teil erhalten sind.
Das Gotteshaus ist im gotischen Stil erbaut und hat ein schönes Gewölbe. Das aus Holz geschnitzte Altarbild ist beachtenswert. In guter Schnitzarbeit stellt der nördliche Seitenflügel den Kreuzträger, das Mittelstück die Grablegung, der südliche Seitenflügel die Höllenfahrt dar. Pber dem Mittelstück erhebt sich das Kreuz mit dem Gekreuzigten. Bei der Instandsetzung der Kirche 1881 wurde die Altarschnitzerei (in Hannover?) neu bemalt. Die Deckflügel des sogenannten Wandelaltars zeigten in Malerei die Weisen aus dem Morgenlande, die Taufe Christi, die Kreuzigung und das Weltgericht. (Warum sind diese Deckflügel entfernt worden? Und wo sind sie geblieben?)
Weil der alte Turm die verhältnismäßig große Glocke nicht mehr trgen konnte, hat man vor langen Jahren an der Südseite der Kirche einen Glockenturm aus Holz errichtet. Die schöne alte Glocke trägt in erhabenem Guß folgende Inschrift:
Laudate Dominum in eymbalis bene sonantibus, laudate eum in eymbalis jubilationis omnis spiritus laudet Dominum Pslm. 150. – Reparata est haec campana pastore Conrado Dedekindo, diaconis, Ripka, Pätzmann et Drewes, Alvermann, – Anno Domini 1639 hat mir M. Pawel Vos von Luneborg gegossen. (Lobet den Herrn mit wohlklingenden Bimbeln, lobet ihn mit hellen Bimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den Herrn! Psalm 150. Erneuert ist diese Glocke unter dem Pastoren Dedekind und den Kirchenvorstehern Rikpe, Pätzmann und Drewes, Alvermann.)
Einst erzählte man sich in der Gemeinde von dieser Glocke eine Sage, die nicht verdient, der Vergessenheit anheimzufallen. Die Sage verlegt den Bau der Michaeliskirche (um 1400) in eine Zeit, in der die Munsterer Kirche bereits bestand.
Die Glockensage von Munster:
Die Sage berichtet: Als die Michaeliskirche in Lüneburg gebaut wurde, wollte man die schöne große Glocke der Munsterer Kirche für die Michaeliskirche erwerben. Während der Geistliche und ein Teil der Gemeinde das traute Geläut der alten Glocke nicht missen wollten, hatte der andere Teil nichts gegen den Verkauf. Die Verkaufslustigen gewannen die Oberhand, und die Glocke wurde verladen und abgefahren. Schwer hatte sie sich verladen lassen, und schwer keuchten die Pferde vor der Last. Die Glocke wurde zusehends schwerer und schwerer, und 16 Pferde spannte man nach und nach vor den Wgen. Als der Abend hereinbrach, blieb der Wagen mit der teuren Last am Ausgang des Dorfes stecken.
In der Stille der Nacht holte der Pfarrer seinen alten Schimmel aus dem Stalle, spannte ihn vor den Glockenwagen und fuhr ihn ohne die geringste Mühe zurück. Hier hatte Gott gesprochen, und die Glocke blieb in Munster.
Als an jenem Abend die kleine Glocke, die man bereits al Ersatz in den Turm gehängt hatte, zum Gebet läutete, geriet sie dermaßen in Schwung, daß sie durch das Turmdach in ein etwa 200 Schritt entferntes Sumpfloch flog und hier versank. Noch heute spricht man von der Glockenkuhle oder dem Glockenkolk.
Der Abt des Michaelisklosters in Lüneburg war der Patron der Munsterer Kirche; von Lüneburg aus wurde auch die Kirche erbaut, während die Kosten für die beiden Ausbauten (1881) und für die Instandsetzung (1881) zum Teil aus einer Anleihe bestritten worden sind. Damals bekam die Kirche auch eine Orgel. Leider scheint man bei der Instandsetzung 1881 nicht viel Rücksicht auf ehrwürdige Zeugen vergangener Zeiten genommen zu haben.
In „Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen“ berichtet Rithoff, daß während der Hildesheimer Stiftsfehde Herzog Heinrich der Jüngere 1519 auf dem Wege nach Soltau das Dorf Munster und den Kirchturm niedergebrannt habe. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Burg, die auf halbem Wege von Munster nach Dehtlingen gestanden haben soll, auf diesem Zuge oder auf einem anderen Kriegs- oder Fehdezuge jener Zeit zerstört worden ist. Das vor Jahrzehnten in der Nähe der jetzigen Landstraße gefundene Gemäuer scheint nicht als Burgrest anzusprechen zu sein. Die Burg kann nur auf dem linken Oertzeufer gelegen haben; denn nur so war es möglich, das Oertzewasser in den Burggraben zu leiten. Andere örtliche Verhältnisse, die hier nicht erwähnt werden können, sprechen ebenfalls für diese Annahme.
Aus dem Jahre 1664 besitzen wir die sehr interessante Mitteilung, daß sich 14 Bauern über Dienstleistungen bei Wolfsjagden beschweren. - Das noch in der Pfarre vorhandene Kirchenbuch von 1794 hat nur für die Familiennamenforschung einige Bedeutung. - 1861 fand in Munster die Verkoppelung statt. Allen Käufern wurde ein entsprechender Grundbesitz zugeteilt. Nach diesem Jahre erbaute Käufer haben daher keinen besonderen Grundbesitz. (1830 hatte Munster 21 Wohnhäuser). - Noch in den 60ziger Jahren gehörten Schmarbeck und die Hälfte von Poitzen zum Kirchspiel Munster.
Am 15. März 1873 wurde der Güterverkehr auf der Bahnstrecke Stendal-Langwedel eröffnet; der Personenverkehr setzte erst am 15. April 1873 ein. Als die erste blumengeschmückte Lokomotive hier eintraf, standen die Munsteraner auf der Hohenluft und am Bahnhof und starrten das „Weltwunder“ an. Bei den Bahnerarbeiten waren viele polnische Arbeiter tätig; mit Weib und Kind hausten sie in Erdhütten. Alte Leute wissen noch von heiteren und auch von ernsten Reibereien zwischen den Munsteranern und den Landfremden zu erzählen. Die Kleinbahn Munster-Beckedorf, die das Oertzetal erschließt, wurde am 23. April 1910 in Betrieb genommen.
Anfang der 1880er Jahre wurde der Straßenbau Dethlingen-Müden-Hermannsburg in Angriff genommen. Von Munster aus führte der Weg voher östlich des Oertzetales nach Dethlingen. Die heute von Heide überwucherten, zum Teil tief ausgefahrenden Wagenspuren führen nach „Zägenfeurth“ (Ziegenfurt). Vor der Furt gabelte sich wahrscheinlich der Weg, und während der eine durch die Oertze nach Sültingen führte, ging der andere geradeaus nach Dethlingen weiter. (In diesem Wegwinkel vermute ich den oben erwähnte Burgplatz). Wo heute das Haus des Bädermeisters Alvermann steht, führte einst die Furt durch die Oertze. Ein Steg für Fußgänger lief nebenher. Ende der 1870er Jahre mag der Bohlendamm, der vom jetzigen Denkmalsplatz nach der Oertebrücke führte, durch Steinpflaster ersetzt worden sein.
Eine Postagentur bekam Munster 1867. Die Postbestellung erfolgte schon vorher von Soltau aus. Ein Briefbote, der 3-4 Tage unterwegs war, besorgte von Soltau aus in Munster und Umgegend die Post. Als in Munster eine Agentur eingerichtet wurde, holte ein Bote die Post von Soltau. Zu hannoverschen Zeiten brachte der Bote, der die Amtsbriefe holte, (Munster unterstand damals dem Amte Ebstorf) auch die Privat-Postsendungen von Ebstorf mi, Pakete besorgte ein Postwagen, wenn es sich lohnte, oder aber Botenfrauen brachten sie auf Schiebkarren mit. Wer einen Brief aber wohl gar ein Paket bekommen hatte, wurde mit besonderen Augen betrachtet. Das Postamt wurde 1906 erbaut.
Im Jahre 1892 wurde der Truppenübungsplatz eingerichtet, der geradezu stürmisch die Entwicklung des Dorfes förderte. Während 1890 die Einwohnerzahl 495 betrug, hatte sie sich 8 Jahre später nach Anlegung des Uebungsplatzes fast verdoppelt.
Folgende Zahlen mögen das Wachsen des Ortes zeigen:
1885 = 470 Einwohner 1905 = 1120 Einwohner
1890 = 495 Einwohner 1910 = 1238 Einwohner
1895 = 916 Einwohner 1919 = 2205 Einwohner
1900 = 916 Einwohner 1925 = 2016 Einwohner
1900 wurde im Mittelpunkt des Dorfes das Kriegerdenkmal errichtet; in demselben Jahre besuchte der Kaiser zum zweiten Male den Uebungsplatz (1. Mal 1896).
Nach Beendigung des Boxeraufstandes (1900 bis 1901) kamen die Chinatruppen zunächst nach Munsterlager, um von hier aus in die Heimat entlassen zu werden. Sie brachten Abwechslung ins Lagerleben: chinesische Hunde, Affen und Bären sah man im Lager; Koffer voll Muscheln, Seide, Fächer, Götzen, Spiele usw. brachten sie heim. Freigiebig verschenkten sie an die Kinder chinesisches Kupfer- und Silbergeld.
Bis 1904 in Deutsch-Südwestafrika der Hereroaufstand ausbrach, wurden in Munster Truppen für diesen Feldzug eingekleidet und ausgebildet. Die Geschäftsleute und Wirte hatten goldene Tage. Jeder Kämpfer bekam gegen 200 Mark Ausrüstungsgeld ausgezahlt, das zum größten Teil in Munster blieb.
Noch größere Aufregung brachten die Kaisertage 1906. Von weit und breit waren die Leute herbeigeeilt, um den Kaiser und die großartigen militärischen Uebungen zu sehen. Schöne Ehrenpforten zierten den Ort, und die Hausbesitzer hatten sich vielfach neue Fahnenstangen und neue Fahnen angeschafft.
1905 wurde das Hannoversche Kieselgurwerk angelegt. Verschiedene Werke beschäftigten in der Förderzeit rund 150 Arbeiter. (Die geologischen Verhältnisse des Oertzegebietes, auf die im Rahmen dieser kleinen Chronik nicht eingegangen werden kann, sind recht interessant.)
Gleich nach Ausbruch des Krieges trafen hier die ersten Gefangenen, Belgier, ein, und Munster stand wieder einmal im Mittelpunkt des Interesses; man unternahm Ausflüge nach hier, um sich die Gefangenen anzusehen. Während des Krieges wurde hier ein großes Gefangenenlager, das Russenlager, angelegt.
Nach Beendigung des Krieges war Munster Durchgangslager für die aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrenden deutschen Truppen.
Der unglückliche Ausgang des Krieges, der die starke Verminderung des Heeres zur Folge hatte, brachte vielen Einwohnern Munsters herbe Enttäuschung und bittere Not. Aus jüngster Zeit darf ein Ereignis nicht unerwähnt bleiben: die gewaltigen Explosionen auf dem Gasplatz Brelohlager im Oktober 1919. Die heftigen Erschütterungen richteten viel Schaden an. Günstiger Wind bewahrte Munster vor Räumung.
Jetzt besteht der 1916 angelegte Gasplatz nicht mehr. Die Fabrikanlagen sind vernichtet, die hohen Schornsteine gesprengt, gestürzt wie so vieles Große und Schöne ideeller und materieller Art.
[Nahezu vollständiger Text aus dem Jahre 1926 von Lehrer Kohlmeyer aus Munster. Aus: Heimat-Adreßbuch für die Stadt Soltau und den Landkreis sowie für das benachbarte Visselhövede. Abschrift von Michael Falk, 2021, www.munsteraner.de]
Heimats-Adreßbuch 1926 für die Stadt Soltau und den Landkreis sowie für das benachbarte Visselhövede, S. 172ff.